M. Hagemeister: Die «Protokolle der Weisen von Zion» vor Gericht

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Titel
Die «Protokolle der Weisen von Zion» vor Gericht: Der Berner Prozess 1933-1937 und die «antisemitische Internationale».


Autor(en)
Hagemeister, Michael
Erschienen
Zürich 2017: Chronos Verlag
Preis
€ 54,00
von
Stefanie Mahrer, Historisches Institut, Universität Bern

Die sogenannten «Protokolle der Weisen von Zion», eine antisemitische Fälschung, bezichtigen Juden, durch eine Verschwörung die Weltherrschaft an sich reissen zu wollen; das angeblich authentische Dokument ist seit den frühen 1920er Jahren im Umlauf. Es gibt vor, eine geheime Sitzung der Verschwörer zu protokollieren, in der die Strategien und Taktikten, wie sämtliche Bereiche des politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebens unterwandert werden sollen, besprochen werden. Michael Hagemeister, ein deutscher Historiker und Slawist, befasst sich seit über 30 Jahren mit der Entstehung, Verbreitung und Rezeption der «Protokolle» und gilt als einer der besten Kenner der Materie. Das vorliegende Buch ist denn auch viel mehr als eine Darstellung des Prozesses gegen die Verbreitung der «Protokolle» vor dem Berner Gericht in den Jahren 1933 bis 1937.

In der ausführlichen Einleitung geht der Autor auf den Inhalt sowie die komplexe und bis heute nicht genau geklärte Entstehungsgeschichte der Fälschung ein. Dank seiner profunden Kenntnisse des Gegenstandes gelingt es ihm, zahlreiche Mythen um die Entstehungsgeschichte zu entkräften. Hagemeister gilt auch als der beste Kenner der Quellenlage. Jahrzehntelang ging er jedem Hinweis nach und sichtete Material in Archiven in der Schweiz, in Israel, den USA, in Russland, Deutschland, Frankreich, Grossbritannien, Österreich, Dänemark und Südafrika.

Im zweiten Teil der Einleitung führt Hagemeister in den Gerichtsprozess gegen die «Protokolle» ein. In der Schweiz wurde die Fälschung schon früh rezipiert und von der Frontenbewegung aufgegriffen. Um dem auch in der Schweiz immer aggressiver werdenden Antisemitismus entgegenzutreten, beschloss der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG), die Dachorganisation der jüdischen Gemeinden der Schweiz, den Judenhass im April und Mai 1933 im Rahmen einer Aktion zu bekämpfen. Als im Juni desselben Jahres im Anschluss an eine Grosskundgebung der «Nationalen Front» die «Protokolle» verteilt wurden, entschlossen sich der SIG und die Israelitische Kultusgemeinde Bern, Strafanzeige gegen die Gauleitung Bern des «Bundes National-Sozialistischer Eidgenossen» und gegen Unbekannt einzureichen. Die Kläger beriefen sich dabei auf ein nur im Kanton Bern existierendes Gesetz über das «Lichtspielwesen und Massnahmen gegen Schundliteratur». Angestrebt wurde die Klassifizierung der «Protokolle» als Schundliteratur und somit deren Verteilung oder der Verkauf als gesetzeswidrig. Wie von Kritikern ausserhalb der jüdischen Gemeinschaft schnell geäussert, ging es dem SIG tatsächlich nur am Rande um die Verantwortlichen der Kundgebung, sondern vielmehr um eine gerichtliche Bestätigung, dass es sich bei dieser infamen antisemitischen Verschwörungstheorie um eine Fälschung handle. Hagemeisters Interesse gilt weniger dem Ausgang des Prozesses als der Darstellung der Frühgeschichte der «Protokolle» im Prozess, also der detaillierten Rekonstruktion von Autorschaft und Auftraggeber vor Gericht. In Kenntnis der Quellen vermag es der Autor jedoch, die im Prozess von Experten der Kläger konstruierte Entstehungsgeschichte zu widerlegen. Damit wird die seither auch in der Wissenschaft übernommene Sicht auf die Frühgeschichte dekonstruiert. Die Frage der Urheberschaft kann aber auch Hagemeister nicht klären.

Die über 300-seitige Chronik des Prozesses macht schliesslich den Hauptteil des Werkes aus. Bis ins letzte Detail geht Hagemeister auf der Basis der Akten dem Prozessgeschehen nach. Nachdem der Autor in der Einleitung den Prozessverlauf, die Hintergründe, die Gutachten und Strategien der Parteien kritisch analysiert und dargestellt hat, stehen in diesem gewichtigen Teil die Quellen unkommentiert im Vordergrund. Im Anschluss an die Chronik folgen schliesslich weitere wichtige, oft vom Autor kommentierte, Dokumente aus der Geschichte der «Protokolle».

Kurzbiographien aller am Prozess Beteiligter sowie von Personen, die einen Bezug zur Entstehungsgeschichte und zur Verbreitung der «Protokolle» haben, schliessen das Werk ab. Erstmals werden damit die vielschichtigen Bezüge zwischen unterschiedlichen Akteuren an einem Ort aufgezeigt. Das Buch schliesst mit einer ausführlichen Literaturund Quellenliste.

Das vorliegende Buch muss als Standartwerk zur Geschichte der «Protokolle der Weisen von Zion» und zum Berner Prozess gegen die «Protokolle» gelten. Der Autor trägt darin sein fast enzyklopädisches Wissen über den Gegenstand zusammen. In Kombination mit den abgedruckten Akten, den Kurzbiographien und dem bibliographischen Anhang ist die Studie zudem als Nachschlagewerk für zukünftige Forscherinnen und Forscher zu verstehen. Der etwas spröde Schreibstil und die chronikhafte und dadurch doch sehr kleinteilige Darstellung im Hauptteil führt zwar nicht zu einem flüssigen Leseerlebnis, schmälert den Wert der Arbeit jedoch nicht, vielmehr wird dadurch das Ziel des Werkes erreicht: die kritische Darstellung der Frühgeschichte der «Protokolle» anhand der Quellen und das Aufzeigen der verfälschenden Darstellung der Urheberschaft im Berner Prozess anhand der lückenlosen Chronik.

Zitierweise:
Stefanie Mahrer: Michael Hagemeister: Die «Protokolle der Weisen von Zion» vor Gericht. Der Berner Prozess 1933–1937 und die «antisemitische Internationale», Zürich: Chronos, 2017. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 69 Nr. 2, 2019, S. 347-349.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 69 Nr. 2, 2019, S. 347-349.

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